Mit Ausnahme der großen Namen wie Brahms, Liszt, Mendelssohn oder Reubke fanden viele Komponisten des 19. Jahrhunderts lange Zeit kaum Beachtung. Erst infolge des wiedererwachten Interesses an der deutschen Musik des 19. Jahrhunderts rückte auch das kompositorische Schaffen vieler dieser nur wenig bekannten oder gänzlich vergessenen Meister in das Blickfeld des Interesses.
Die damals weitverbreitete Kopplung des Organistenamtes an Lehrämter definierte auch den schöpferischen Rahmen - Musik für den gottesdienstlichen Gerbrauch oder zu pädagogischen Zwecken. Gerade diese Tatsache macht die Kompositionen äußerst interessant, weil sie sich für die gottesdienstliche aber auch konzertante Praxis gut eignen und eine willkommene Abwechslung zum Standardrepertoire bieten. In der Regel gehen sie über einen mittleren Schwierigkeitsgrad nicht hinaus, sind in ihrer Wirkung aber affektvoll und kommen besonders auf den noch vorhandenen Instrumenten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wunderbar zur Geltung.
Einer dieser vergessenen Komponisten ist Eduard Thiele (geboren am 21. November 1812 und gestorben am 10. Januar 1895 in Dessau). Er war Schüler des berühmten Pädagogen, Komponisten und Organisten Johann Christian Friedrich Schneider (1786-1853), der in Zittau, Leipzig und Dessau tätig war. Seit 1855 bis zu seinem Tod wirkte Thiele als sein Nachfolger in Dessau.
Die vorliegende Komposition ist eine unveröffentlichte von Thiele selbst niedergeschriebene Improvisation, die beim Konzert zur Einweihung der Ladegast-Orgel der Stadtkirche in Köthen (1872) erklang.